Quohrener Turmgeschichte(n) Teil2

Quelle: Bote von Wilisch Februar 2000 Nr.136

Da steht es nun, das graziöse Quohrener Schultürmchen, auf dem frostigen Schulhofboden und ist
ganz grün vor Kälte. Oder vor Ärger. Ach, es sehnt sich nach der luftigen Höhe, von der aus es immer
das ganze Dorf Liberblicken konnte, jeden Winkel, jede Ameise auf der Kipse, und die niedlichen
Schneeflocken hatten es lustig umtanzt, und die liebe Morgensonne hatte es mit goldenen
Strahlenfingern sanft gestreichelt, da oben. Daß es uns freut, es einmal so von Nahem
betrachten zu können, tröstet es nicht, und auch Frau Grimmer nicht, denn angefangen hatte es im vorigen
Jahrtausend, am 15. Dezember 1998. Dastanden wir optimistisch im Kreise und blickten nach oben und nickten
bedeutungsvoll und waren eingeschworen auf die Formel: Das Türmchen – es lebe hoch und lange!

Quohrener Turmgeschichte(n) Teil2
Quohrener Turmgeschichte(n) Teil2 – Die Turmspitze wurde mit dem Autokran abgenommen

Die Denkmalsleute von obernorts hatten es beeindruckt als „historisch und künstlerisch wertvoll“ definiert und dem Quohrener Wahrzeichen Hoffnung und Überlebenschancen zugesichert. Aber das war, wie gesagt, vor langer langer Zeit. Vor 14 Monaten. Frau Grimmer, die Quohrener Ureinwohnerin und glückliche Besitzerin dieses heimischen Denkmals, liebt das Türmchen, das sie über alle Kinder- und Jugendjahre treu begleitet und auch auf sie stets ein wachsames Auge hatte, über alle Maßen, und so stellte sie
Pflichtgemäß und allerschnellstens, wie gefordert, den vorgeschriebenen Antrag an das Hohe Denkmalsamt auf der Augustusstraße, und sie mußte es mindestens 3 mal machen, weil das Papier von unten nach oben und von rechts nach links weitergereicht wurde und jede Stelle etwas anderes zu bemängeln hatte.

So vergingen 6 kostbare Monate des Jahres 99, und sie telefonierte und telefonierte und schließlich hieß es, ja, die Angelegenheit sei nun im Regierungspräsidium, und die Genehmigung auf „vorfristigen Baubeginn wegen Dachsanierung und zur Sicherung des Denkmals“ sei in Bearbeitung.

Frau Grimmer ließ sich’s um ihr Türmchen nicht verdrießen, und siehe, der Erfolg stellte
sich am 21. Juni 1999 ein: Zu Freudentränen gerührt, hielt sie die Denkmalsschutzrechtliche Genehmigung
(gemäß §2 Sä. Denkmalsschutz) in ihren Kindergartenleiterinnenhänden, und es stand da Schwarz auf Weiß zu lesen:

„Das Landratsamt Weißeritzkreis erläßt folgenden Bescheid:

  • I. Für das o. g. Objekt wird die denkmalsschutzrechtliche Genehmigung erteilt. und
  •  
  • II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Die Kostenfestsetzung ist
    Bestandteil dieser Genehmigung.“ Sie beruhe auf der 2. Verordnung des Sä. Staatsministeriums für
    Finanzen über die Festsetzung der Verwaltungsgebühren und Schreibauslagen in der geltenden Fassung.
    Die zu begleichenden 20,-DM seien mit der Zustellung des Bescheides fällig.

Wanderer, kommst du nach Quohren, dann wende deinen Blick zum neuen ziegelroten Dach der ehrwürdigen Schule, stütze dich still auf deinen Knotenstock und höre geduldig die weitere (un)erfreuliche Geschichte:
Der denkmalsschutzrechtliche Genehmigungsbrief der denkmalsbehördlichen Obrigkeit legte selbstverständlich
auch gleich die

Nebenbestimmungen

zur Instandsetzung des Türmchens in Form von Auflagen fest:

  • Abtragen des Türmchens
  • Erneuerung der Wandflächen des Türmchens mit Altdeutscher Schieferdeckung
  • Die Verblechung ist mit Titanzink durchzuführen.
  • Sanierung des Glockenturmes ist in Holz auszuführen.
  • Erneuerung der Turmeindeckung mit Titanzink.
  • Die Erneuerung der Wetterfahne ist in Edelstahl auszuführen.
  • Das Uhrwerk ist zu reparieren.
  • Die Gewichte sind zu überprüfen.
  • Das Ziffernblatt sowie Zeigerpaar sind zu erneuern.

Kosten, ca. 40.000 DM. Wer soll das bezahlen?

In ihrer unergründlichen Heimat- und Turmliebe ging Frau Grimmer jedoch sogleich frisch ans Werk. Sie beschaffte (und bezahlte) eine Menge Holz für den Unterbau, und auch ein Gerüst mußte erst gebaut werden, um das Türmchen abzunehmen (auch wieder für Geld). Der Zimmermanns-Auslernlings-sohn Tino fertigte den neuen Unterbau in Eigenleistung, und das alles insgesamt für 7.000 DM. Dann wurde das Dach gedeckt.

Und warum steht das Türmchen nun immer noch in der Schulhofecke wie ein gescholtener Schuljunge?

Weil die Nebenbestimmungen eben noch mal eine Menge Geld kosten, und weil noch lange nicht entschieden ist,
ob die Denkmalsbehörde dafür einen Zuschuß gibt. Auf neudeutsch heißt das jetzt Fördermittel.
Die Entscheidung, so die Auskunft, ob überhaupt und wieviel, kommt nicht vor Juni 2000.

Und so kann der Uhrmacher über Winter nicht ans Uhr-Werk gehen und der Klempner nicht an den Titanzink.
Und die Quohrener werden weiter bangen müssen, bis und ob ihr „landschaftsprägendes Symbol“ sie
wieder von weitem grüßt und sie wissen, was die Stunde geschlagen hat.

Die Schule hat kein Türmchen mehr.
Den Dorfschulmeister grämt das sehr.
Das Denkmalsamt druckt sich ums Geld
für eine kleine Quohrener Turmuhr-Well.

Denn: Wie, fragt sich der finanzbesorgte Denkmalspfleger hoch oben, kommt so ein
klitzekleines Dorf mit einer 2-Klassen-Minischule am Ende der Welt eigentlich überhaupt zu solch
einem wertvollen Turm? Der Alteinwohner Herbert Grumbt weiß es genau, von seinem Großvater, der mal
Quohrens Bürgermeister war:

Der kinderliebe Bauer Robert Leubert konnte es nicht verwinden, daß sich kein Nachwuchs
einstellte, daß kein kleiner Leubert-Bub mit seiner Zuckertüte vor der2-flügeligen Schulhaustüre zu stehen kam.
Es war schmerzlich, Tag für Tag die muntere Kinderschar am Morgen mit ihren Schulranzen ins Unterdorf
und mittags vergnügt nach Hause hüpfen zu sehen. Und täglich hatte er das rote Schuldach vor Augen,
unter dem kein eigener Blondschopfdie holzharte Schulbank drückte.

Der Bauer saß auf dem späteren Pöge-Gut, und im Jahre 1896 machte er aus seiner Traurigkeit eine echte Tugend:
Er spendete der ein Jahr zuvor frisch angebauten Quohrener Schule das Türmchen mit allem drum und dran,
für die Kinder, die nicht seine eigenen, aber die seines Dorfes waren.

Ja, so was gabs – vor über 100 Jahren. Und darüber kann heute ein denkmalsschützerischer Geldgeber oder auch
Nicht-Geld-geber nur neidisch den Kopf schütteln und resignierend feststellen, daß es so was eben leider jetzt
nicht mehr gibt. Aber die Bürokratie, die haben wir Gott sei Dank noch.

Im Klartext – ohne Ironie:

Frau Grimmer hätte bei der dringend notwendigen Dachsanierung das Türmchen auch einfach abnehmen und
verschrotten lassen können. Basta. Aber eben das durfte sie nicht, weil es auf der Denkmalsliste steht.
Die Rekonstruktion und damit der gesetzlich vorgeschriebene Erhalt des Turmes ist – wie aus der
Darstellung ersichtlich – mit hohen zusätzlichen Kosten verbunden. Über deren Erstattung aber hat das
Denkmalsamt bis heute nicht entschieden. Also: Fortsetzung folgt! Vielleicht zumDorffest?

H.H.