Quohrener Turmgeschichte(n) Teil1

Quelle: Bote von Wilisch Januar 1999 Nr.118

Ein Türmchen und ein rotes Dach – die Turmuhr ruft den Morgen wach. Um acht läßt er die Kinder ein, das arme Dorfschulmeisterlein. Ja. so war das wirklich mal. im klitzekleinen Quohren: Sie riet den Tag herbei, mit einer Akustik, die ihren Klang in den letzten Winkel trug, und die Bauern und die Knechte und die Mägde mußten sich ums Verschlafen nicht sorgen, sie kamen pünktlich in den Stall und von den weit entfernten Feldern und Wiesen zum Mittag und Feierabend rechtzeitig heim.

Quohrener Turmgeschichte(n) Teil1
Quohrener Turmgeschichte(n) Teil1

Sie wies dem Nachtwächter, dem Huhlevater, in Schneegestöber und Finsternis den Weg und erzog die Kinder, einen Schritt schneller zu laufen, mit dem Blick auf die Uhr. Die jungen Leute ließ sie nachts nicht schlafen – sie schlug alle halben Stunden – und sie waren froh, als sie eines Tages schwieg. Da aber fanden die Alten keinen Schlaf mehr – die Uhr schlägt nicht mehr! klagten sie. Wie sollte sie’s allen recht machen?

Es ist schon lange still geworden im stillen Quohren, und daß es sich vielleicht wieder mit dem wohlvertrauten Klang füllen möge, dazu fanden sich am 15. Dezember eine Menge Leute auf dem Schulhof und unter dem gelben Dach zusammen und berieten, was da zu machen sei, aber angefangen – angefangen hatte es eigentlich ganz anders und vor langer langer Zeit:
Im Jahre 1805 nämlich zeigten die Quohrener Gemeindeväter, daß sie einen weitsichtigen Verstand besaßen. Sie beschlossen, vorausschauend wie sie waren, ihre Kinder von der Possendorfer Schule ins heimische Dorf zu nehmen und einen eigenen Kinderlehrer anzustellen. Das war eine Spitzenleistung, eine Investition in die Zukunft, denn das sächsische Volksschulgesetz, wonach auch kleine Dörfer ein eigenes Schulwesen gründen mußten, wurde erst 30 Jahre später, am 6. Juni 1835, erlassen. Die Quohrener, nach Rippien das 2. Dorf der Possendorfer Parochie, waren also ihrer Zeit weit voraus, vielleicht auch nicht ganz uneigennützig, denn wenn für die Kinder der weite Schulweg am Nachmittag wegfiel, hatten sie sie beizeiten daheim – auf den Feldern.
Wie dem auch sei, Quohren bekam einen Kinderlehrer, der aus der Dorfkasse nur erbärmlich entlohnt werden konnte und dessen Namen wir nicht kennen, eben ein armes Dorfschulmeisterlein.
Ein Schulhaus gab es noch nicht – man machte Reihumschule, jeden Tag hei einem anderen Bauern, Dort bekam das Dorfschulmeisterlein auch einen Teil seines Einkommens in Naturalien, nämlich ein Mittagessen.

Und wenn im Dorfe Schlachtfest ist, dann sollt ihr sehen, wie er frißt. Er schafft ein halbes Schwein allein, das arme Dorfschulmeisterlein. Vielleicht gefiel den Bauern auf die Dauer der vormittägliche Kindertrubel nicht, denn 1814 erhielt der Lehrer mit seinen Schulkindern das l. feste Schulzimmer im Quohrener Gemeindehaus, dort, wo zuletzt oben die Häusler Frieda wohnte und unten eine Zeitlang das Gemeindeamt war.

Schon 1826 baute die Gemeinde das l. Schulhaus mitten im Dorf – es hatte unten eine Schulstube mit einem angrenzenden Stall und oben eine Lehrerwohnung. Das war dann schon der Lehrer Johann Gottfried Böthig, von 1814-1868. 1872 starb er in Quohren 77-jährig. Der konnte sich nun ein Schwein selbst füttern und hatte einen Krautgarten dazu vorm Haus. und er blieb ein Leben lang in Quohren und erlebte zu Dienstzeiten noch den Bau des jetzigen Schulhauses im Jahre 1863. Allerdings war es nur halb so groß, aber es war neu. und die Notwendigkeit war gewesen, daß seit 1859 sich die Klei ncarsdorfer der Quohrener Schulgemeinde angeschlossen hatten.

Quohren und Kleincarsdorf waren fruchtbare Dörfer, nicht nur wegen der lO.OOO Obstbäume und dem guten Weizenland. Als das Jahrhundert zu Ende ging. veranlaßte der reiche Kindersegen die Dorfväter, anzuhauen. Das Schulhaus bekam die rechte Hälfte dazu mit dem 2. Schulzimmer und der 2. Lehrerwohnung für den Hilfslehrer Strohcl. der nun mit dem Lehrer Seifen unter einem Dach leben durfte. Und in diesem Jahre 1897 bekam das Schulhaus auch das Türmchen mit der Uhr. Es ist also nun, 1999, 102 Jahre alt. Da darf man schon mal wacklig werden, nicht wahr?

Ach, das ist es: Das Türmchen wackelt. Seine Metallstreben, auf denen das Dächlein mit der verschlissenen Wetterfahne aufgesetzt ist, halten im Alter den Stürmen der Zeit nicht mehr stand, und es besteht die Gefahr, daß es bei einem der nächsten Quohrener Katastrophen-Unwetter ganz und gar den Halt verliert, denn, und das ist erstaunlich, es ist auf seiner Dachgrundlage nicht mit Holzbalken verstrebt!

Vor ein paar Jahren, erzählt Frau Grimmer,habe es eines Nachts ein Getös und Gepolter auf dem Boden gegeben. Da war das schon angerostete Seil, das das Uhrengewicht hält, gerissen und hätte beinah größeres Unheil angerichtet. Seitdem ruft die Turmuhr den Morgen nicht mehr wach.
Das gelbe DDR-Dach ist schon lange undicht – es soll im nächsten Jahr wieder ein rotes werden – aber der Turm!
Das Landratsamt hat ein Bauamt und das Bauamt hat eine untere Denkmalsbehörde mit Frau Juchheim, und die untere Denkmalsbehörde hat eine obere Denkmalsbehörde mit Herrn Dr. Rosner, in Dresden auf der Augustusstraße. Und die eben fanden sich am Vormittag des 15. Dezember vor der alten Schule ein. Dazu ich, aber ich bin nur die allerunterste Denkmalsfrau, die von der Gemeinde Kreischa. Frau Juchheim hatte noch die Brüder Trux bestellt zum Mitbegutachten und dazu den Klempner vom Kupfereck in Freital.

Die Denkmalsleute von obernorts nickten beeindruckt und bedeutungsvoll, und das heißt, daß es Hoffnung und Überlebenschancen für das Quohrener Wahrzeichen gibt, denn ohne das Türmchen ist Quohren nicht richtig Quohren, in der Fachsprache heißt das: Es istortsbildprägend. Auch wenn um 8 Uhr nie mehr ein armes Dorfschulmeisterlein die Kinder einläßt, soll es erhalten bleiben, und Frau Juchheim versprach sogar einen Turmuhr-Spezialisten, daß die jungen und die alten Quohrener wieder wissen, was die Stunde geschlagen hat, nicht nur nachts.

H.H.